Fundstücke rund um Stuttgart 21 und K21.
Ein neuer Tiefpunkt in der Debatte ist erreicht: Der Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg entblödet sich nicht, Walter Sittler in die Nähe von NSDAP-Propagandisten zu rücken
In der
aktuellen Ausgabe von "Berlin aktuell"
wird der Schauspieler Walter Sittler einfach mal so in Goebbels' geistige Verwandtschaft
gerückt.
In der ZDF-Sendung ‚Markus Lanz‘ hat Walter
Sittler, einer der führenden Aktivisten gegen das
Infrastrukturprojekt Stuttgart 21, den Wählerinnen
und Wählern in Baden-Württemberg den Fehler
vorgeworfen, seit über 50 Jahren eine
Regierungsbeteiligung der CDU ermöglicht zu
haben.
[Bild von Walter Sittler]
(Sein Vater war Nazi-Funktionär und arbeitete für
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels: Walter Sittler, Propagandist der S21-Bewegung)
Dazu erklärt Thomas Strobl MdB, Generalsekretär
der CDU Baden-Württemberg:
„Das Demokratieverständnis, das Vertreterinnen
und Vertreter der Anti-S21-Bewegung zur Schau
stellen, ist ausgesprochen bemerkenswert. Nicht
nur, dass sie die Rechtmäßigkeit demokratisch
gefasster Entscheidungen bezweifeln
und bestreiten und ein vermeintlich höheres Recht für
sich in Anspruch nehmen wollen – jetzt greifen sie
auch noch zur Wählerbeschimpfung. Ich kann
jedermann nur raten, die Stimme der Wählerschaft
mit Demut zur Kenntnis zu nehmen: Die
Wählerinnen und Wähler sind der Souverän. Es
steht niemandem an, die Wählerinnen und Wähler
für ihre Entscheidungen zu kritisieren. Tatsächlich
entlarvt sich Sittler mit dieser Äußerung als das,
was er ist: jemand, der in Wahrheit mit unserer
Demokratie nichts am Hut hat.“
Daß die Bildunterschrift kein Textsatzunfall war, ergibt sich daraus,
daß Sittler im weiteren Verlauf vorgeworfen wird, mit Demokratie "nichts am Hut" zu haben.
Sittler hat aus der Vergangenheit seiner Familie
nie einen Hehl gemacht. Wir wollen
auch mal ignorieren, dass (nach Angaben von Walter Sittler) sein Vater weder im
Propagandaministerium noch ein "Funktionär" war, sondern im Auswärtigen
Amt und Parteimitglied. Aber von den sachlichen Fehlern abgesehen: Was hat Strobl geritten,
daß er zur Nazikeule glaubte greifen zu müssen?
In der
Fernsehsendung, auf die Strobl Bezug nimmt,
ging es um die Verzahnung von Wirtschaft und Politik bei Stuttgart 21. Dabei sagte Sittler
unter Applaus:
Natürlich ist die Wirtschaft in Stuttgart sehr verbandelt. Die CDU ist
über 50 Jahre an der Macht. Das ist ein - wie ich finde - Fehler der Wähler.
Man muss ab und zu die politischen Parteien spazierengehen schicken, damit sie eben genau
die Sprache wiederfinden, die Sprache der Bürger wiederfinden - egal welche Partei das ist!
[...] Das ist die Erfahrung, die man macht - wenn eine Partei sehr lange an der Macht ist,
gibt es einfach Verfilzungen, weil man muss das Land regieren, man will vorwärtskommen,
dann gibt es Interessen, dann hat einer den Freund, will den bedienen, und das muss man ab
und zu unterbinden, und da sind die Wähler gefragt."
Aus konkretem Anlass benutzte Sittler das Beispiel der CDU in Baden-Württemberg.
Aber seine Argumente gälten ebenso für ein Bundesland, das 50 Jahre von der SPD
beherrscht würde. Wirklich originell ist das nicht. Auch wenn man als
Generalsekretär solche Binsenweisheiten nicht so gerne hört, einen echten
Aufreger kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Herrn Strobl würde ich gerne fragen: Sind Sie allen Ernstes der Meinung, es sei
undemokratisch, wenn sich ein Bürger wünscht, dass Regierungsparteien und Opposition sich gegenseitig
kontrollieren und gelegentlich die Rollen tauschen? Und ist es andererseits demokratisch,
zu Goebbels-Vergleichen zu greifen, wenn jemand die Positionen Ihrer Partei nicht teilt?
Widerlich.
Nachtrag: Strobl gab der öffentlichen Empörung inzwischen nach und
entschuldigte sich bei Sittler -
offenbar aber nur "für die Verknüpfung seines Kommentars mit der NS-Vergangenheit des Vaters". Heisst das,
daß Strobl nach wie vor glaubt, Sittler habe mit Demokratie nichts am Hut? Solange nicht auch diese
Unsäglichkeit aus der Welt ist, ist Strobls Entschuldigung nichts wert.
Nicht, dass Strobls Entgleisung der einzige Versuch gewesen wäre, die K21-Befürworter in die Naziecke zu schieben:
- Siehe zum Beispiel dieses "Fan-Foto"
eines Anhängers der Facebook-Gruppe "FÜR Stuttgart 21", der da meinte fordern zu
müssen: "Sittler-Jugend - Nein Danke!"
- Oder wie wäre es mit jenem Transparent, das bei einer Pro-S21-Demo zu sehen war: "1933 Brauner Wahn - 2010 Grüner Wahn".
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