BILDblog ist faszinierende Lektüre: Dort werden mit
den Mitteln des gesunden Menschenverstandes und einfacher Hintergrundrecherche
Geschichten und Totschlagzeilen aus der bewußten Boulevardzeitung auf ihren
wahren Kern abgeklopft - wenn es denn einen gibt.
Ein Zitat aus dem Zusammenhang reißen, ein paar relativierende Fakten
verschweigen - das reicht schon aus für den Start einer Kampagne à la BILD.
Der Rest ergibt sich; die Reaktionen füllen das Blatt
für geraume Zeit wie von selbst.
Aber ist vielleicht das Verfahren ein allgemeines und nur die Dreistigkeit der Anwendung BILD-spezifisch? Beispiel: Die Diskussionen um die Kapitalistenkritik von Herrn
Müntefering wogten wochenlang in
allen Tageszeitungen hin und her. Jede
Äußerung zum Thema, egal von wem oder wie geringfügig, wurde zur Nachricht.
Freilich nutzte Müntefering den Kampagnenmechanismus für seine Zwecke:
Als erfahrener Politiker weiß er, daß er in diesen künstlich aufgeregten
Zeiten nur einen kleinen Anlaß liefern muß, um ein Thema über Wochen
in der Öffentlichkeit zu halten.
Traurig ist es, wie wenige Leser sich noch fragen, was hinter einer
Geschichte steckt und ob das alles so sein kann, wie man es gerade gelesen
hat; ob X wirklich Y gesagt hat und in welchem Kontext; und ob
die ganze Meldung, bei Licht besehen, nicht einfach belanglos ist.
Bevor ich aber die Analyse auch nur beginnen kann, wird schon
über Reaktionen berichtet; und lasse ich mich von den
Sekundärberichten ablenken, bewege ich mich so schnell von der
eigentlichen Nachricht weg, bis sie im Schlachtenlärm untergeht.
Solche Atemlosigkeit ist der Totengräber gesunder Skepsis.
Die schnellen elektronischen Medien einschließlich
Internet haben viel dazu beigetragen. Aber immerhin ist das Netz auch eine
Hoffnung: Nie zuvor gab es so viele Möglichkeiten
zur eigenständigen Recherche. Auch Erika Schultze kann
heutzutage vom heimischen Wohnzimmer aus BILD widerlegen. Wenn sie nur
auf den Gedanken käme - oder sie jemand auf ihn brächte.
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