Wahlen sind was Feines und Erstrebenswertes, daran kann kein Zweifel bestehen. Ich
danke im Stillen dem amerikanischen Präsidenten jeden Tag dafür, daß
er möglichst allen Menschen freie Wahlen bescheren will, und müßte
er sie dafür bombardieren.
Und dennoch plagen mich in diesen Tagen wieder allerhand hübsche kleine Wahlsorgen.
Nach Schwaben zog ich vor Jahr und Tag, des schnöden Mammons willen,
also darf ich nächsten Sonntag auch helfen, gewichtige
Entscheidungen darüber zu treffen, wer in den Landtag nach Stuttgart
geschickt wird und wer lieber im Weiler verweilen soll. Aber ach, als Auswärtiger
tut man sich schwer! Denn der hiesig Verwurzelte hat vermutlich den einen
oder anderen Kandidaten vor Jahr und Tag mal beim Richtfest des Duschanbaus der
Freiwilligen Feuerwehr am Nebentisch einen Bierhumpen stemmen sehen und
sich dabei bewundernd geistig notiert, was für eine schnittige Sonnenbrille
der Kandidat da trug. Er kann ihn also nächsten Sonntag für diese
Schnittigkeit ruhigen Gewissens wählen. Oder
aber er versagt dem Kandidaten seine Stimme ob dessen offensichtlichen
Sonnenbrillenfetischismus. Wie auch immer: Keine allzu schwere Abwägung.
Für mich hingegen ist guter Rat teuer, wenn überhaupt zu
bekommen.
Und dann der Wahltag: Im Wahllokal sitzt das hiesige Dorf- oder Stadtpatriziat
und kommt in vorbildlicher Weise seiner staatsbürgerlichen Verantwortung
nach. Jeder Wähler, jede Wählerin wird mit Handschlag und Vornamen
begrüßt, wenn auch nicht überschwänglich, denn sonst heißt
es ja noch, man buhle in letzter Sekunde noch unziemlich um Stimmen. Aber es
ist unverkennbar: Man kennt sich.
Auftritt meinereiner, und die Peinlichkeit beginnt:
Die Honoratioren sind ja meist vortreffliche Leute, die täglich in ihren
Ämtern Hunderte von Wahlbürgern treffen. Schon um nicht als
unfreundlich oder vergeßlich dazustehen, lächeln sie
verschmitzt und geben nicht klar zu erkennen, daß sie einen
noch nie gesehen haben. Und ich wiederum stehe den Mächtigen des
Marktfleckens, der Ehrenriege der Gemeinde gegenüber; jeder und jede von
ihnen ist bei groß und klein bekannt und beliebt - nur ich habe auch
nicht die mindeste Ahnung,
mit wem ich's zu tun habe. Ganz bestimmt will ich es mir nicht mit den
Lokalmächten verderben; wer kann schon sagen, wann man ihre Hilfe
dringend brauchen wird.
Was also tun? Lächle ich tapfer
und unbestimmt familiär zurück? Wie lange darf der Augenkontakt
sein, bevor der Schwindel auffällt? Sollte ich vor dem Auftritt im
Wahllokal nochmals die letzten 20 Ausgaben des Gemeindeblattes studieren
und mir Gesichter einprägen, in der Hoffnung, eines zu erkennen und
lässig bei der Begrüssung einen Namen fallen zu lassen?
Was, wenn es der falsche Name wäre?
Oder begrüße ich stattdessen
die Anwesenden in einem möglichst derben auswärtigen Dialekt, um mich
klar als Reing'schmeckter zu kennzeichnen und die Situation schon an der
Eingangstür zu klären? Hmmm... nicht schlecht, indes: Zwar stamme
ich aus Franken und könnte mich daher theoretisch klanglich klar
vom lokalen Dialekt absetzen, in der Praxis aber kommt mir meine
Dialektunfähigkeit in die Quere, die ich schon so oft verflucht
habe: Mehr als eine allgemein süddeutsche Färbung bekomme
ich nicht glaubhaft hin, und die ist vom Honoratiorenschwäbisch
erst nach einem etwas längeren Wortwechsel klar zu unterscheiden.
Wo kriege ich jetzt auf die Schnelle einen Dialekttrainer her?
Oh große Not!
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