Frankfurt-Marathon: Manöverkritik (01 Nov 2010)

Man hält sich als Läufer ja soooo gern für erfahren und abgeklärt. Und doch habe ich beim gestrigen Marathon in Frankfurt sozusagen am laufenden Meter gepatzt...

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Patzer 1: Marathon auf leeren Magen

Naja, völlig leer war er nicht. Aber das gezielte Anfuttern in den letzten Tagen vor dem Wettkampf hatte ich schlicht verschwitzt. Zudem war der übliche Speiseplan durch die Anreise am Vortag durcheinandergeraten. Die trockenen Pestonudeln auf der Nudelparty am Vortag des Laufes rissen die Sache auch nicht mehr raus.

Das Frühstück im Hotel Bristol (nur ein paar hundert Meter vom Start, jederzeit gerne wieder), war gut ausgestattet. Rituelle Plünderungen am Hotelbuffet zu beobachten, das verdirbt mir aber eher den Appetit, und so habe ich auch hier mein Defizit noch vergrössert...

Moral: Reinschaufeln, was das Zeug hält - am besten schon vor der Anreise.

Patzer 2: Essen auf der Strasse

Dass ich schlecht vorgebaut hatte, wurde mir klar, als ich mit knurrendem Magen im Startbereich ankam. Also schnell vor dem Start noch Apfel, Bananen, Muffin eingeworfen und mit allerhand Wasser hinuntergespült; während des Laufs kam bei fast jeder Gelegenheit Apfelschorle dazu, ausserdem zwischendurch zwei Kohlenhydratgels. Irgendwann nach der Halbmarathonschwelle wurde der wilde Cocktail toxisch, und mir wurde blümerant.

Moral: Das zweite Gel später einsetzen, bei den Getränkestationen nur einen Schluck nehmen.

Patzer 3: Falscher Startblock

Beim Frankfurt-Marathon gibt es die sinnvolle Einrichtung der Startblocks. Die Läufermassen werden nach (potentieller) Leistung aufgeteilt und sollen hintereinander starten, damit das Gewusel nicht allzu groß wird. Nach meiner Beobachtung gab es aber keine Absperrung zwischen den Blocks und auch nur einen Startschuß, was bedeutet, dass alle Läufer ohne Abstand zwischen den Blöcken hintereinander lostraben und sich an den Fersen kleben.

Zusätzliche Erschwernis: Meldet man wie ich nach, wird man grundsätzlich in den letzten Startblock eingereiht, unabhängig von Zielzeiten und früheren Ergebnissen. Weil ich lieber in der Sonne warten wollte als in einer kalten und schattigen Häuserschlucht, habe ich mich zwar noch um ein paar Meter nach vorne geschummelt, aber schlauer wäre es gewesen, die Rennvorgaben komplett in den Wind zu schlagen und mich nochmals weiter vorne nach Leistung einzusortieren.

Wegen meiner Startposition glichen die ersten sieben Kilometer eher einem Slalom als einem Marathon. Jederzeit musste ich befürchten, einem Mitläufer in die Hacken zu treten oder dessen Ellenbogen zu spüren. Der gewohnte Laufrhythmus war vor dem Verlassen der Innenstadt (km 12?) nicht zu erreichen. Bis zum Ende des Laufes war ich jederzeit von vielen Läufern umgeben, und es kam immer wieder zu Ausweichmanövern - zur Ideallinie konnte man also einige hundert Meter dazu.

Moral: Besser über die Startblockaufstellung informieren.

Patzer 4: Das Trainingsprogramm

Was den Marathon angeht, bin ich Vorbereitungsminimalist: In der Zeit seit Sommer kam ich über drei Läufe in der Woche nie hinaus - meistens waren es sogar nur zwei. Schwerwiegender war aber der Bruch mit einer Tradition. Mit Wonne hatte ich bisher vor Wettkämpfen die Experten-Trainingspläne ignoriert und mindestens einen Lauf von 35 km oder mehr absolviert. Diesmal jedoch lag mein längster Lauf bei 30 km und war vollständig laufzeitschriftenkonform.

Im Wettkampf war bei Kilometer 35 zwar der Puls im grünen Bereich, und auch der Wille nach überstandenen Magenbeschwerden wieder intakt. Doch jetzt meldeten sich die Muskeln ab. Beide Beine versteiften sich, jeder Schritt brannte, und ich mußte Tempo herausnehmen, um Krämpfe zu vermeiden. Ich war auf die lange Distanz schlicht nicht vorbereitet.

Moral: Zurück zur alten Taktik - ein 35km-Lauf gehört (bei mir) zur Vorbereitung.

Patzer 5: Ein Mädchen sein wollen

Ein Kollege, der ungenannt bleiben will, wird zuweilen nicht ganz politisch korrekt "das Mädchen" geheissen, weil er Kälte scheut und gerne eine Klamottenschicht zuviel auflegt.

Zu den Spöttern zähle auch ich, doch ausgerechnet zum Marathon verfiel ich der gleichen Unsitte und glaubte, es müsse noch ein Extraunterhemd her. Mit der Folge, dass ich bei Kilometer 5 fast eine Minute drangeben mußlte, um das Unterhemd unter Laufgurt und Laufhemd hervorzupopeln und in die Botanik zu befördern.

Moral: Bei trockenem Wetter über 10 Grad reichen kurzes Hemd und Dreiviertelhose!



Die gute Nachricht

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Man kann alle diese Fehler begehen und trotzdem passabel durchkommen: 3:30:32 ist nur zweieinhalb Minuten schlechter als meine bisherige Marathonbestzeit. Whoopee! big grin

PS: Auch wenn ich kleinere Marathonveranstaltungen bevorzuge, kann ich den Frankfurt-Marathon sehr empfehlen: Die Strecke ist schnell, die Organisation meiner Meinung nach ohne Fehl und Tadel, und die Versorgung während des Laufes und danach ausgezeichnet.

PS2: Auf meinem Nokia-Telefon tut Sports Tracker sonst gute Dienste, verlor aber in den Häuserschluchten von Frankfurt zu oft den Satellitenkontakt und berechnete deswegen die Marathondistanz auf 46.71 km...

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Oben bleiben (29 Oct 2010)

Fundstücke rund um Stuttgart 21 und K21.

Wahrscheinlich einer der besseren Kommentare zu den Schlichtungsgesprächen:

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"Lügenrhetorik" ist vielleicht ein bisschen stark, aber es freut mich, daß nicht nur mich Frau Gönners Beiträge ab und an irritieren.


Oben bleiben (28 Oct 2010)

Fundstücke rund um Stuttgart 21 und K21.

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Protest in Spur H0

Daß die Stuttgarter IHK sich in eine bahnhörige Pro-S21-Haltung verrannt hat, ist nicht erst seit der Jubelveranstaltung für Herrn Grube am 12. Oktober in der Stuttgarter Liederhalle bekannt. Zum Glück gibt es Unternehmer, die diese unkritische Haltung nicht mitmachen.

Ein besonders amüsantes Beispiel dieser Art: Die Firma Busch, die sich unter anderem auf den Modellbau spezialisiert, hat eigens einen Ausschneidebogen konzipiert, auf dem die wichtigsten Demoplakate zu finden sind. Die kann man sich dann ausschneiden und den Passanten im Modellbahnhof an die Hand geben. Übrigens eine besonders zielgruppengerechte Aktion: Denn so ein Tiefbahnhof ist für den Modellbauer erstens knifflig umzusetzen und zweitens im Ergebnis wenig ansehnlich, denn was hat man von der neuen teuren ICE-Lok, wenn sie die Hälfte der Zeit unter dem Modellbaurasen verschwindet...


Hohe Hürden

Die Volkshochschule Stuttgart lud zum "Herbstdialog", und es war wohl eine gute Diskussion, aus der Einsichten wie die folgende gewonnen wurden:

So sei die derzeitige Landesregierung wegen der geringen Wahlbeteiligung von nur 29 Prozent der Stimmberechtigten gewählt worden; bei einem Volksentscheid werde aber ein Anteil von einem Drittel aller Stimmberechtigten gefordert.

Nicht das erste Mal, daß die hohen Hürden in Baden-Württemberg für Volksentscheide kritisiert werden, aber den Vergleich mit der Landtagswahl fand ich besonders instruktiv. Kurz nachgerechnet: In der Tat lag die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl am 26.3.2006 laut Statistischem Landesamt bei 53.4%. Für die Regierungskoalition stimmten insgesamt 54.9% (CDU: 44.2%, FDP: 10.7%). Damit kommen wir auf einen Anteil von 0.534*0.549=0.293166, also 29.3%, der Wahlbeteiligten.

Bei einem Volksentscheid muß zur Änderung eines Gesetzes mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten mit Ja stimmen. Beim "kleinen Bruder" Volksbegehren wird immer noch ein Votum eines Sechstels der Wahlberechtigten (innerhalb von zwei Wochen!) verlangt, um wenigstens die Behandlung im Parlament zu erzwingen.

Mehr dazu:


Oben bleiben (27 Oct 2010)

Fundstücke rund um Stuttgart 21 und K21.

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Stand heute

"Mappus sieht Schlichtung optimistisch", so titelt heute die Eßlinger Zeitung. Und man zeihe mich einen hoffnungslosen Optimisten, aber manche Aussagen des Ministerpräsidenten, wie sie hier zitiert werden, lesen sich wie ein allererstes vorsichtiges Zurückrudern:

Er sehe „Stand heute“ keinen Grund, aus dem Projekt auszusteigen, so der Regierungschef. „Da müsste es neue Argumente von einer Güte geben, die ich mir heute nicht vorstellen kann, geschweige denn, die ich kenne.“

[...]

Auf eine Publikumsfrage hin räumte er aber ein, dass die Haltezeiten im neuen Bahnhof knapp bemessen seien. „Zwei Minuten ist ein bisschen wenig“, sagte Mappus. Er nahm damit Kritik auf, die Gegner bei der Schlichtung vorgebracht hatten. Sie bemängeln, die höhere Kapazität des Tiefbahnhofs ergebe sich nur durch kürzere Zughalte.

"Stand heute". Argumente, die er noch nicht kenne. "Zwei Minuten ist ein bisschen wenig". Bestimmtheit hört sich anders an.

Aber vielleicht ist's auch nur die Kreide, die nachstaubt.


Das neue Traumpaar: Palmer und Ramsauer?

Die FAZ ist nicht dafür verschrieen, den K21-Anhängern das Wort zu reden. Um so spannender der Artikel "Ramsauer scheut das Rampenlicht", der die Rolle des Bundes in diesem Konflikt diskutiert:

Hinter verschlossenen Türen lässt Ramsauer seinem Unmut über diese ererbte Zusage freien Lauf. Auch wenn der Bund bei Wendlingen-Ulm erst von 2016 im Obligo ist - vorher wird dort das Landesgeld verbaut - engt sie seinen geringen investiven Handlungsspielraum weiter ein.

[...]

Noch weiß Ramsauer nicht, wie er die Mehrkosten für die Neubaustrecke aufbringen soll. Am liebsten würde er die Bahn zur Kostenübernahme bringen. Das Bundesunternehmen zögert, verweist zudem grummelnd auf die 500 Millionen Euro Dividende, die der Bund von 2011 an verlangt. Intern ist zu hören, wenn man mehr für Wendlingen-Ulm aufwenden müsste, würde notgedrungen anderswo gekürzt. Alles, was im Südwesten zusätzlich verbaut wird, fehlt anderswo. Die Projekte „kannibalisieren“ sich.

Und mit Blick auf die Prioritätenliste des Bundes für Infrastrukturprojekte, in die trotz grosser Finanzknappheit Projekte wie der Anschluss an die Fehmarnbelt-Brücke oder die Rheintalbahn einsortiert werden sollen:

Die Stuttgarter Bahnhofsgegner interessiert Ramsauers neue Liste nur begrenzt. Deshalb ist wohl auch noch niemand auf den Gedanken gekommen, einen Vertreter des Bundesverkehrsministeriums in die Schlichtungsgepräche zu beordern. So werden die S21-Befürworter in der Runde unter Leitung von Heiner Geißler denn auch am kommenden Freitag wieder ohne Ramsauers Rückendeckung auskommen müssen.

Vielleicht sollte ich mir doch nochmal ein FAZ-Abo überlegen. (Nicht erschrecken, war nur ein Scherz big grin )


Untersuchungsausschuß

Die Einrichtung des Untersuchungsausschusses zu den Vorgängen am 30. September im Schlossgarten in Stuttgart steht unmittelbar bevor. Das habe ich zum Anlass genommen, den Vertretern meines Wahlkreises im Landtag, Herrn Nemeth und Herrn Braun, einen Brief mit der Bitte um Mithilfe bei der Aufklärung zu schicken. Der Wortlaut war in beiden Fällen ähnlich, ich zitiere daher nur den Brief an Herrn Nemeth (CDU):

Sehr geehrter Herr Nemeth,

ich wende mich an Sie als den Vertreter meines Wahlkreises im Landtag. Ich war am Nachmittag des 30. September im Schlossgarten und habe miterlebt, wie mehr als tausend Polizisten in Kampfausrüstung (BFE-Einheiten heisst das wohl) friedliche Demonstranten umzingelt, aus Wasserwerfern und Tränengasflaschen beschossen, teilweise auch niedergegeknüppelt haben. An diesem Tag hat sich meine Sicht auf den Rechtsstaat für immer verändert.

Mein Zorn richtet sich nicht in erster Linie gegen die Polizei. Auch ich habe sie bei praktisch allen Demonstrationen sowohl vorher als auch nachher als umsichtig und besonnen kennengelernt. Und dass es Polizisten wie Thomas Mohr (http://www.wdr.de/tv/monitor/extra/interviews/mohr_101021.php5) gibt, die sich trauen, als Bürger ihre Meinung zu sagen, zeigt mir, dass ich auch nach wie vor zumindest auf grosse Teile der Polizei vertrauen kann.

Um so wichtiger ist es für mich, die Verantwortung für den Einsatz zu klären. Der Beitrag zu diesem Thema in der Sendung Monitor vom 21.10. (http://www.wdr.de/tv/monitor//sendungen/2010/1021/stuttgart.php5) fasst viele der drängenden Fragen zu diesem Tag zusammen. Ich bin sicher, dass auch Sie sich als Abgeordneter viele Fragen stellen. Ich möchte Sie ermutigen, diese Fragen vorzubringen und auf ihre Klärung im Untersuchungsausschuss zu dringen. Dafür danke ich Ihnen schon heute. Ich glaube, dass auch und gerade Parlamentarier der CDU ein vitales Interesse daran haben müssen, wieder Vertrauen in Rechtsstaat und Parlamentarismus herzustellen.

Fragen, die mich seit jenem Tag umtreiben, sind insbesondere:

  • Wer hat den Einsatz des 30. September angeordnet und aus welchem konkreten Anlass? Wie lange zuvor war der Einsatz schon geplant? Wer war an den Planungen beteiligt? Insbesondere: Wann und wie oft waren der Ministerpräsident und der Innenminister an den Planungen beteiligt?
  • Was waren die Gründe, dass der Einsatz ausgerechnet am 30.9. stattfinden musste? Stimmt es, dass der Einsatz des 30. September vor allem auf Drängen der Deutschen Bahn terminiert wurde?
  • Stimmt es, dass die Bahn aus Gründen des Artenschutzes in jener Nacht keine Genehmigung hatte, die Bäume zu fällen, und stimmt es also, dass die Polizei mit Gewalt eine rechtswidrige Aktion ermöglichen und decken musste?
  • Nach meinen Informationen hatte die Schülerdemonstration, die ebenfalls am 30.9. stattfand, die Genehmigung vom Ordnungsamt, die Schlusskundgebung in der Zeit von 12 bis maximal 17 Uhr im Schlossgarten abzuhalten. Wie wir inzwischen wissen, war der Einsatz der Polizei ursprünglich ab 15 Uhr terminiert, dann wurde er auf 10 Uhr vorgezogen. Bei beiden Terminen war aber zwingend davon auszugehen, dass es zur Begegnung oder Konfrontation mit demonstrierenden Schülern kommen würde. Wer trägt die Verantwortung dafür, dass dieses Risiko offensichtlich sehenden Auges (um dieses in diesem Zusammenhang bittere Bild zu benutzen) eingegangen wurde?
  • Wieso wurden nach all den friedlichen Demonstrationen und im Wissen um die bürgerliche Ausrichtung der Demonstranten derart krass von der Stuttgarter Linie abgewichen? Wieso Aberhunderte von Polizisten, Wasserwerfer, Schlagstöcke und Tränengas gegen zuvor und auch an jenem Tag friedliche Demonstranten?
  • Und wenn man schon de facto einen Kampfeinsatz befehligt: Wieso wird dann nicht das Rote Kreuz verständigt?
  • Wie kam es dazu, dass den friedlichen Demonstraten untergeschoben wurde, Pflastersteine geworfen zu haben? (Das Innenministerium musste diesen Vorwurf ja bekanntlich schnell kassieren und zog sich dann auf Kastanien zurück.)
  • Wurden tatsächlich Kastanien geworfen, oder war es nicht zumindest teilweise so, dass Wasserwerfer Kastanien aus den Bäumen schossen, die dann auf Umstehende fielen? (Ich selbst habe an jenem Tag mehrfach beobachtet, wie Salven in Bäume geschossen wurden.)
  • Hamburger Abendblatt und taz (siehe zum Beispiel http://stuttgart21.blog.de/2010/10/18/hamburger-polizist-gesteht-agent-provocateur-einsaetze-grossdemos-9653324/) berichteten von Polizistenaussagen, dass es bei kritischen Demonstrationen üblich sei, dass Polizisten in Zivil als Provokateure sich unter Demonstranten mischen, um gezielt Gewalttaten zu provozieren oder auszuüben. Was ist an diesen Aussagen dran, und hat es auch in Stuttgart solche Provokateure gegeben? (Ich bin bei solchen Meldungen sonst sehr vorsichtig, aber ich glaube, in diesem Falle sind die Hinweise gewichtig genug, dass ihnen nachgegangen werden muss.)
  • Indiziensammlungen wie http://kopperschlaeger.net/2010/10/stuttgart21-agent-provocateur-im-einsatz/ und http://stuttgart21.blog.de/2010/10/10/nachbetrachtung-agent-provocateur-stuttgart-21-demo-30-9569683/ werfen insbesondere die Frage auf, ob der "Pfeffersprayer", den die Polizei Stuttgart bei ihrer Präsentation als Beispiel für Gewalt aus den Reihen der Demonstranten angeführt hat, in Wahrheit nicht ein solcher Provokateur gewesen sein könnte. Sowohl Ausführung der Aktion sowie die verwendete Ausrüstung liefern dafür Hinweise, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann.
  • Gibt es inzwischen ein Verfahren gegen den Pfeffersprayer oder zumindest eine Anzeige gegen unbekannt? Wird der Fall von der Staatsanwaltschaft verfolgt? Welche anderen Verfahren wurden eröffnet?

Tatsächlich hätte ich wahrscheinlich noch Hunderte anderer Fragen. Sie sehen, die Ereignisse jenes Tages gehen mir immer noch nach. Es geht hier nicht um für oder wider S21 - nein, es geht um Vertrauen in Rechtsstaat und Parlamentarismus. Ich hoffe, dass der Untersuchungsausschuss die Verantwortung für den Einsatz klären und so dazu beitragen kann, mir wieder etwas von diesem Vertrauen zurückzugeben.

Ihnen, Herr Nemeth, danke ich schon jetzt für Ihre Mithilfe bei dieser wichtigen Aufgabe!


Oben bleiben (26 Oct 2010)

Fundstücke zu den Themen Stuttgart 21 und K21.

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Money, money, money (part one)

Peter Hauk, Vorsitzender der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, gab gestern bei einem Besuch in Hirschberg einen selten offenen Eindruck davon, was er sich wohl unter Gemeinsinn und der verantwortlichen Gestaltung des Gemeinwesens vorstellt.

Ein Bericht von Hardy Prothmann im Hirschberg-Blog zitiert Peter Hauk mit Sätzen wie:

  • “Ob das jetzt zehn oder fünzehn Milliarden kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein.”
  • “Wenn jemand sagt, woanders fehlten die Mittel, in den Schulen, bei der S-Bahn, dann ist das alles Kokolores. Es fehlt überhaupt nichts.”
  • “Als Landespolitiker ist es mir egal, was Stuttgart oder Cannstadt will”

Natürlich reicht das in Sachen finanzpolitischer Leichtfüssigkeit bei weitem nicht an die legendäre Aussage von Michael Conz heran. Stuttgart 21, so verkündete der FDP-Stadtrat im Sommer, könne seinethalben auch eine Billion Euro kosten, und er wäre immer noch dafür.

Tja, wieso eigentlich wird Vertretern der sogenannten bürgerlichen Parteien traditionell eine hohe Wirtschaftskompetenz zugebilligt? Herr Hauk, Herr Conz, wir üben das jetzt nochmal:

  • Erstens: Es gibt auf der Welt nicht beliebig viel Geld. (Es sei denn, Sie lassen's wie weiland in der Hyperinflation der frühen zwanziger Jahre für uns drucken.)
  • Zweitens: Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Also beispielsweise entweder für einen Tiefbahnhof oder für einen Busanschluss am Kindergarten.
  • Drittens: Das Kabinett Mappus ist zu zwölft, wenn sich der Ministerpräsident mit seinen Ministern trifft. Dies zur Veranschaulichung des Begriffs der Billion - das ist nämlich eine 1 mit 12 Nullen. (Zur arithmetischen Vollständigkeit sowie zur Kräftigung Ihres Egos dürfen Sie sich gern auch vorstellen, Sie seien diese Nummer 1.)

Mehr dazu:

Money, money, money (part two)

In einer tollen Übersicht zeigt H. Hanslmeier, was an der allzu oft kolportierten Auffassung dran ist, bei Stuttgart 21 handele es sich einerseits um ein Bahnprojekt und andererseits um ein einmaliges Geschenk für Baden-Württemberg. Ausgehend von der offiziellen Kostenaufstellung der Bahn (insgesamt 4.088 Milliarden), ergibt die Analyse folgendes Bild für die Verteilung der Finanzlast:

Summe Prozentual Träger
318 Mio. EUR 7,8 % Bahn
1.229 Mio. EUR 30,1 % Bund
1.344 Mio. EUR 32,9 % Land
1.123 Mio. EUR 27,5 % Stadt Stuttgart
18,5 Mio. EUR 0,45 % Landkreis Böblingen
18,5 Mio. EUR 0,45 % Landkreis Esslingen
18,5 Mio. EUR 0,45 % Landkreis Ludwigsburg
18,5 Mio. EUR 0,45 % Landkreis Rems-Murr

Ich kopiere die Ergebnisse hier ganz unverschämt, weil die Verbreitung der Analyse so ungeheuer wichtig ist. Ein ganz dickes Lob dafür an H. Hanslmeier.

Ein Bahnprojekt? Kaum, denn die Bahn ist finanziell gesehen mit Abstand der kleinste Anteilseigner des Projekts. Ein Geschenk für Stadt und Land? Allein Land und Kommunen tragen 62.1% der Finanzlast - und der Bund holt sich sein Geld auch von den Bürgern, und zwar aufgrund der Wirtschaftskraft Baden-Württembergs überproportional von eben dort.

Wohlgemerkt, es geht bei der obigen Aufstellung nur um den Tiefbahnhof und dessen Anschluss an die Neubaustrecke nach Ulm, nicht aber die Neubaustrecke selbst. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind der Bau des zweiten Flughafenbahnhofes, Kosten für U-Bahn-Umbauten, sowie die Tatsache, dass die Bahn sich nun seit 16 Jahren im Vorgriff auf den anstehenden Umbau die Instandhaltung des alten Kopfbahnhofes sparen konnte. Alle diese Kosten gehen ebenfalls zu Lasten der Stadt und Land. Berücksichtigt man auch diese Effekte, beginnt man zu verstehen, warum die Bahn mit Zähnen und Klauen um das Projekt kämpft: Es ist für die Bahn eine Gold-Grube.


Oben bleiben (25 Oct 2010)

Fundstücke des Tages zu den Themen Stuttgart 21 und K21.

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Emotionaler Höhepunkt des Tages: Die Auftritte von Urban Priol und Georg Schramm bei der 50. Montagsdemonstration der Kopfbahnhofverteidiger in Stuttgart.

Die Aufzeichnung gibt's unter http://www.ustream.tv/recorded/10418685. Ein Exilunterfranke wie ich kann natürlich eh nicht anders als sich narrisch freuen, wenn "einer von uns" da vorne auf der Bühne steht. Aber es lag dann letztlich nicht an der landsmannschaftlichen Verbundenheit, daß ich mich glänzend amüsiert habe.

Schramm hingegen ist einer, den ich vor den Ereignissen um Stuttgart 21 wohl nicht wirklich verstanden hatte. Heute begreife ich viel besser, wogegen er wettert und warum. Auch sein Auftritt ein Genuß. Ein wenig verdutzt war er wohl, als gegen 19 Uhr mitten in seinem Vortrag der Schwabenstreich einsetzte. Zu seinen Ehren hätte ich das heute auch gerne verschoben - man merkte ihm und Priol an, daß sie gerne in Stuttgart waren. An die Daheimbleiber: Ihr habt was verpaßt cool!

Mehr zum Thema:



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Gestopft voll mit Kopfbahnhofsfreunden war der Nachtzug, der heute abend Stuttgart in Richtung Berlin verlies, wo morgen viele Aktionen stattfinden sollen - ich bin richtig gespannt.

Das Zuglogo keins21_small.png im Bild rechts hebt mindestens ebenso die Laune wie - ich zitiere "BugUser" aus dem Drehscheibe-Forum - die "vorschriftsmäßige Dienst-Ente". (Auf das Bild von M. Möller klicken, um mehr vom Zug zu sehen.)



Oben bleiben (24 Oct 2010)

Fundstücke des Tages zu den Themen Stuttgart 21 und K21.

obenbleiben.jpg
Die S21-Gegner rufen immer "Lügenpack" - ja, muss das denn sein?

Diese Recherche von H. Hanslmeier betrifft die Umstände, unter denen der Stuttgarter OB Schuster im Jahre 2007 vorschnell seine Unterschrift unter Verträge mit der Bahn gesetzt hat, um Fakten zu schaffen und ein Bürgerbegehren zu vereiteln.

Aus einem Interview mit Walter Sittler und Wolfgang Schuster (Frankfurter Rundschau, 9. Oktober):

SITTLER: Sie sprechen von der Initiative 2007, als 67000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid gesammelt wurden. Da haben Sie Fakten geschaffen, indem Sie Verträge mit der Bahn unterschrieben haben, obwohl Sie von der Initiative wussten.

SCHUSTER: Ich wusste nichts von dieser Bürgerentscheidsinitiative.

[...]

SCHUSTER: Dass im Jahr 2007 ein Bürgerbegehren vorbereitet wurde, habe ich damals nur gerüchteweise gehört.

Drei Jahre zuvor ereignete sich laut Protokoll der Sitzung des Gemeinderates Stuttgart vom 4.10.2007 folgendes:

Er [StR Wölfle] appelliere an die Mitglieder des Gemeinderats, für einen Bürgerentscheid zu stimmen. ... Von OB Dr. Schuster erwarte er, mit der Unterschrift unter die Ergänzungsvereinbarung zu warten, bis klar ist, ob es zu einem Bürgerentscheid kommt.

Am 5.10.2007, also tags darauf, unterschrieb der OB Schuster die besagte Ergänzungserklärung und türmte damit eine entscheidende juristische Hürde wider das Bürgerbegehren auf.

Wen wundert es also, dass bei so gut wie jeder Demonstration gegen S21 laut "Lügenpack" skandiert wird?

Mehr zum Thema:


Gleisführung im Neckartal

K21, dem Gegenentwurf zu S21, wird immer mal wieder vorgeworfen, dass es eine Streckenführung im Neckartal erfordere, die Anwohner unzumutbar belaste.

Wie die Diskussion unter http://www.parkschuetzer.de/statements/40073 zeigt, wird der Vorwurf schnell zum Bumerang, wenn man nur ein bisschen nach Fakten gräbt. In Tat und Wahrheit stellt sich heraus, dass auch und gerade bei S21 erhebliche Belastungen im Neckartal entstehen. Die der K21-Fanatik ganz sicher unverdächtige Stuttgarter Zeitung schreibt:

Auf Anfrage der Stuttgarter Zeitung hat das Sprecherbüro von Wolfgang Drexler allerdings eingeräumt, dass im Neckartal auch bei Stuttgart 21 zwei neue Gleise gebaut werden müssen, die dann dicht an Wohnhäuser im Imweg heranrücken. Sie führen in den Tunnel zum Hauptbahnhof und müssen auf 1,2 Kilometern Länge in einem Betontrogbauwerk zwischen der Kreuzung Imweg/Augsburger Straße und den Otto-Hirsch-Brücken in die Bestandsstrecke einfädeln.

In diesem Bereich verlaufen künftig sechs statt heute vier Gleise nebeneinander, so dass die Trasse um mehr als die Hälfte des heutigen Bahnkörpers aufgeweitet werden muss. Die Böschung wird somit zwangsläufig in Richtung der Wohnbebauung verschoben.

Die Bahn selbst spricht in den Unterlagen von einem "erheblichen Eingriff", es komme zu "bauzeitlichen Beeinträchtigungen der Anwohner" durch Lärm und Erschütterungen. Auch später lasse Stuttgart21 in dieser Gegend "Überschreitungen der Immissionsrichtwerte" bei Gebäuden erwarten - "insbesondere im Nachtzeitraum". Auf den neuen Gleisen werden nämlich Güterzüge unterwegs sein.

Deshalb wird an dieser Stelle eine gesetzlich vorgeschriebene 385 Meter lange und vier Meter hohe Lärmschutzwand errichtet. Dennoch, so heißt es im Planfeststellungsbeschluss, "kann angesichts der deutlichen Grenzwertüberschreitungen beim Neubau der Obertürkheimer Kurve nicht gewährleistet werden, dass die einschlägigen Grenzwerte überall eingehalten werden". Deshalb haben viele Anwohner nicht nur im Imweg, sondern auch in der Augsburger Straße sowie der Bergstaffelstraße Anspruch auf Schallschutzfenster.

Dieses Szenario verwundert insofern, als es der ehemalige Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) in Bezug auf die K-21-Idee wegen der dichten Bebauung für ausgeschlossen erachtete, dass der Bau zweier Gleise von der Bevölkerung akzeptiert wird.

Und nun nehmen wir uns alle an der Hand und bilden mit den Redakteuren der Stuttgarter Zeitung einen Wunderkreis.

Die Pläne übereinandergelegt:


Teufel im Detail

Der Alt-Ministerpräsident von Baden-Württemberg sprach in einem Akt beeindruckender Kirchtumspolitik bei der Kundgebung der S21-Befürworter vom Samstag:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, dies ist eine reale Gefahr. Warum? Man kann von Berlin aus nach München an Baden-Württemberg vorbeifahren über Nürnberg, Würzburg, Ingolstadt. Man kann von Hamburg aus an Baden-Württemberg vorbeifahren über Nürnberg, Würzburg, Ingolstadt. Wir aber wollen, dass man nicht an Baden-Württemberg vorbeifährt, sondern dass man von Berlin und Hamburg über Frankfurt, Mannheim, Stuttgart, Ulm fährt!

Unbedingt merken: Zu Weihnachten in einem Akt der tätigen Nächstenliebe dem Herrn Altministerpräsidenten einen Atlas schenken. Und eine Zugfahrkarte nach Wolfratshausen (über "Nürnberg, Würzburg, Ingolstadt"), zum Kaffeekränzchen der visionären Altministerpräsidenten mit Edmund "10 Minuten!" Stoiber.

Mehr dazu:


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